Die Asiatische Hornisse (Vespa velutina nigrithorax) ist in aller Munde – und das leider oft mit besorgtem Unterton. Seit ihrer Ankunft in Europa im Jahr 2004 hat sich diese invasive Art rasant ausgebreitet und stellt Imker, Naturschützer und Behörden vor große Herausforderungen. Doch wie weit kann sie Vordringen? Gibt es natürliche, insbesondere klimatische Barrieren, die ihre Expansion eindämmen könnten, ähnlich wie in ihrem ursprünglichen Verbreitungsgebiet in Asien? Dieser Beitrag beleuchtet die komplexen Zusammenhänge zwischen dem Klima und dem Ausbreitungspotenzial der Vespa velutina.
Thema & Kontext: Eine invasive Art auf dem Vormarsch
Die Asiatische Hornisse, genauer gesagt die Unterart Vespa velutina nigrithorax, stammt ursprünglich aus den subtropischen und gemäßigten Regionen Südostasiens, beispielsweise aus Teilen Chinas, Indiens und Indonesiens. Dort lebt sie in einem Klima, das von milden Wintern und warmen, feuchten Sommern geprägt ist. Ihre Einschleppung nach Europa, vermutlich über eine Lieferung von Töpferwaren nach Frankreich, markierte den Beginn einer beeindruckenden, aber auch beunruhigenden Invasion. Innerhalb weniger Jahre hat sie weite Teile Frankreichs besiedelt und ihre Fühler nach Spanien, Portugal, Italien, Belgien, Deutschland, den Niederlanden, Großbritannien und in die Schweiz ausgestreckt.
Die Sorge ist groß: Vespa velutina ist ein effizienter Prädator von Honigbienen, was massive Schäden in Bienenvölkern verursachen und die Imkerei existenziell bedrohen kann. Doch nicht nur Honigbienen stehen auf ihrem Speiseplan. Auch andere heimische Insektenarten, die für das ökologische Gleichgewicht wichtig sind, werden erbeutet. Dies kann weitreichende Folgen für die Biodiversität haben, beispielsweise durch Störungen der Bestäubungsleistung und der natürlichen Nahrungsnetze.
Angesichts dieser Bedrohung stellt sich die drängende Frage, ob die Ausbreitung der Asiatischen Hornisse unaufhaltsam ist oder ob klimatische Faktoren ihr Grenzen setzen. Um dies zu beurteilen, ist ein Blick auf ihre klimatische Nische – also die Gesamtheit der Umweltbedingungen, unter denen eine Art überleben und sich fortpflanzen kann – in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet und ein Vergleich mit den europäischen Gegebenheiten unerlässlich.
Das Thema lieber als Audiozusammenfassung?
Hauptthesen & Argumente: Das Klima als entscheidender Faktor?
Das Klima spielt eine Schlüsselrolle im Lebenszyklus vieler Insekten, und die Asiatische Hornisse bildet da keine Ausnahme. Temperatur, Niederschlag und die Länge der Vegetationsperiode beeinflussen direkt ihre Aktivität, die Entwicklung der Nester, die Verfügbarkeit von Nahrungsquellen und die Überlebensfähigkeit der überwinternden Jungköniginnen.
Klimatische Bedingungen im natürlichen Verbreitungsgebiet Asiens:
In ihrer Heimat in Asien bewohnt Vespa velutina Regionen, die sich durch spezifische klimatische Charakteristika auszeichnen:
- Milde Winter: Die Winter sind in der Regel nicht extrem kalt. Längere Perioden mit Dauerfrost sind selten. Dies ist entscheidend für das Überleben der begatteten Jungköniginnen, die einzeln an geschützten Orten wie unter Baumrinde, in Erdlöchern oder in menschlichen Strukturen überwintern.
- Warme, feuchte Sommer: Ausreichende Wärme und Feuchtigkeit während der Sommermonate fördern das Wachstum der Kolonien. Hohe Temperaturen beschleunigen die Entwicklung der Brut, und Feuchtigkeit sorgt für eine üppige Vegetation und damit für ein reiches Angebot an Beuteinsekten sowie an Kohlenhydratquellen wie Baumsäften und Nektar.
- Ausreichend lange Vegetationsperiode: Eine genügend lange Periode mit günstigen Temperaturen ist notwendig, damit die im Frühjahr gegründeten Nester eine Größe erreichen können, die die Produktion einer neuen Generation von Geschlechtstieren (Drohnen und Jungköniginnen) im Spätsommer und Herbst ermöglicht.
Regionen mit sehr strengen Wintern oder extrem trockenen und heißen Sommern werden auch in Asien von Vespa velutina tendenziell gemieden oder weisen nur geringere Populationsdichten, auch Abundanzen genannt, auf. Die Abundanz beschreibt die Anzahl der Individuen einer Art pro Flächen- oder Raumeinheit und ist ein wichtiger Indikator für den Erfolg einer Art in einem bestimmten Lebensraum.
Klimatische Faktoren und die Ausbreitung in Europa:
Europa weist eine deutlich größere klimatische Vielfalt auf als die Kerngebiete der Vespa velutina in Asien. Von den milden, maritimen Klimazonen Westeuropas über das heiße, trockene Mittelmeerklima bis hin zu den kontinentalen Klimazonen mit kalten Wintern in Mittel- und Osteuropa und den alpinen Regionen.
- Argumente für klimatische Grenzen in Europa:
- Winterkälte: Dies ist der wohl am häufigsten diskutierte limitierende Faktor. Langanhaltende Frostperioden mit Temperaturen deutlich unter dem Gefrierpunkt können die Mortalität der überwinternden Königinnen erheblich steigern. Regionen in Nord-, Ost- und Zentraleuropa mit strengen Wintern sowie Gebirgslagen könnten daher ungeeignet für eine dauerhafte Etablierung oder zumindest nur für geringe Abundanzen sein. Die Isotherme (Linie gleicher Temperatur) von -5°C mittlerer Januartemperatur wird oft als eine mögliche Grenze diskutiert, wobei auch kürzere, aber intensivere Kälteeinbrüche kritisch sein können.
- Sommertrockenheit und -hitze: Obwohl Vespa velutina Wärme benötigt, können extreme Hitzeperioden, insbesondere in Kombination mit Dürre, problematisch werden. Dies könnte die Aktivität der Hornissen einschränken, die Verfügbarkeit von Beuteinsekten reduzieren und Wasserstress verursachen. Südeuropäische Regionen mit sehr heißen und trockenen Sommern könnten hier an Grenzen stoßen, obwohl die Art bereits in Teilen Spaniens und Italiens Fuß gefasst hat, oft aber in Flusstälern oder bewässerten Gebieten.
- Niederschlagsmuster: Sowohl zu viel als auch zu wenig Niederschlag kann sich negativ auswirken. Starke Regenfälle können die Nahrungssuche behindern und Nester beschädigen, während anhaltende Trockenheit das Nahrungsangebot (Insekten, Pflanzensäfte) reduziert. Die Verteilung der Niederschläge über das Jahr ist ebenfalls relevant.
- Länge der Vegetationsperiode: In Regionen mit einem kurzen Sommer haben die Hornissenkolonien möglicherweise nicht genügend Zeit, um sich vollständig zu entwickeln und erfolgreich neue Königinnen zu produzieren, bevor der Winter einbricht. Dies könnte die Ausbreitung in höhere Breiten und Gebirgslagen limitieren.
- Faktoren, die eine Ausbreitung trotz potenzieller klimatischer Hürden begünstigen könnten:
- Anpassungsfähigkeit (Plastizität): Invasive Arten zeichnen sich oft durch eine hohe ökologische Plastizität aus, d.h., sie können sich an eine gewisse Bandbreite von Umweltbedingungen anpassen. Es ist möglich, dass Vespa velutina im Laufe der Zeit eine gewisse Toleranz gegenüber kühleren oder trockeneren Bedingungen entwickelt. Erste Beobachtungen deuten darauf hin, dass sie auch in gemäßigteren Zonen Europas gut zurechtkommt.
- Mikroklimata: Städtische Gebiete wirken oft als Wärmeinseln und bieten zudem eine Vielzahl an geschützten Überwinterungs- und Nistplätzen. Solche Mikroklimata können das Überleben und die Etablierung auch in Regionen ermöglichen, die im Großklima eigentlich weniger günstig erscheinen.
- Menschliche Verschleppung: Der Ferntransport von Königinnen durch den Menschen (z.B. in Fracht, Fahrzeugen, mit Pflanzen) kann natürliche Ausbreitungsbarrieren, einschließlich klimatischer, überwinden und zu Sprungausbreitungen führen.
- Ressourcenverfügbarkeit: Europa bietet, insbesondere durch die Dichte an Honigbienenvölkern, eine reichhaltige Nahrungsquelle. Solange ausreichend Nahrung vorhanden ist, könnten klimatische Stressfaktoren bis zu einem gewissen Grad kompensiert werden.
Tabelle: Argumente für und gegen klimatische Grenzen der Ausbreitung der Asiatischen Hornisse in Europa
Argumente für klimatische Grenzen | Gegenargumente / Relativierende Faktoren |
Tiefe und langanhaltende Wintertemperaturen erhöhen die Mortalität überwinternder Königinnen. | Hohe Anpassungsfähigkeit (Plastizität) der Art; Überwinterung in geschützten Mikroklimaten (z.B. in urbanen Wärmeinseln, Gebäudenähe, Komposthaufen). |
Kurze Vegetationsperioden (z.B. in Gebirgslagen, nördlichen Breiten) limitieren Koloniewachstum und die Produktion von Geschlechtstieren. | Möglicherweise schnellere Entwicklungszyklen unter optimalen Bedingungen während der kürzeren Saison; Selektionsdruck könnte zu Anpassungen führen. |
Extreme Sommertrockenheit und -hitze reduzieren Nahrungsverfügbarkeit (Insekten, Pflanzensäfte) und Wasser. | Ausweichen in feuchtere Mikrohabitate (z.B. Flussauen, bewässerte Gärten); breites Nahrungsspektrum; Nutzung von Tau oder Kondenswasser. |
Hohe Niederschlagsmengen oder ungünstige Niederschlagsverteilung stören Nahrungssuche und Nestbau. | Nestbau an witterungsgeschützten Orten (z.B. unter Dachvorsprüngen, in dichten Hecken); temporäre Anpassung der Aktivitätsmuster. |
Ungeeignete Gebirgsklimata (starke Fröste, kurze Sommer, Schneebedeckung) bilden natürliche Barrieren. | Ausbreitung entlang von klimatisch günstigeren Tälern; menschliche Verschleppung über Pässe oder durch Warentransporte in touristische Gebiete. |
Geringere Abundanz oder Fehlen in kälteren/trockeneren Randgebieten des natürlichen asiatischen Areals deutet auf klimatische Limitationen hin. | Europa bietet teilweise andere, aber dennoch nutzbare Ressourcenkonstellationen (z.B. hohe Dichte an Honigbienenvölkern als Nahrungsquelle). Die spezifische Unterart nigrithorax stammt aus gemäßigteren Zonen Chinas. |
Spätes Ausfliegen der Jungköniginnen im Frühjahr bei kühler Witterung verzögert Nestgründung. | Phänologische Anpassung: Königinnen könnten bei anhaltend wärmeren Frühjahren tendenziell früher aktiv werden. |
Schlussfolgerungen & mögliche Kritikpunkte
Die Analyse der klimatischen Ansprüche der Asiatischen Hornisse in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet und der bisherigen Ausbreitung in Europa legt nahe, dass das Klima tatsächlich ein wesentlicher Faktor ist, der ihre weitere Expansion und die erreichbaren Populationsdichten beeinflussen wird. Insbesondere die Winterkälte und die Länge der Vegetationsperiode scheinen die entscheidenden Hürden für eine flächendeckende Besiedlung aller europäischen Regionen darzustellen.
Es ist plausibel anzunehmen, dass Gebiete mit sehr strengen Wintern, wie weite Teile Skandinaviens, Osteuropas und höhere Gebirgslagen der Alpen, für Vespa velutina dauerhaft ungeeignet bleiben oder allenfalls sporadische, nicht selbsterhaltende Populationen aufweisen werden. Auch Regionen mit extrem heißen und trockenen Sommern könnten die Abundanz der Hornisse begrenzen, wenngleich ihre Anpassungsfähigkeit hier noch nicht vollständig ausgelotet ist. Die milden, feuchten atlantischen Klimazonen Westeuropas hingegen bieten nahezu ideale Bedingungen, was die schnelle Ausbreitung dort erklärt. Für Deutschland bedeutet dies, dass Regionen mit milderen Wintern (z.B. entlang des Rheins, in Küstennähe) stärker betroffen sein dürften als kältere Regionen im Osten oder in den Mittelgebirgen. Die Abundanzen könnten also regional stark variieren.
Mögliche Kritikpunkte und Unsicherheiten:
- Vorhersagemodelle: Viele Prognosen zur potenziellen Verbreitung basieren auf komplexen Computermodellen (ökologische Nischenmodelle). Diese Modelle sind nur so gut wie die Daten, mit denen sie gefüttert werden, und beinhalten immer Vereinfachungen. Die genaue Vorhersage ist schwierig, da viele Faktoren interagieren.
- Evolutionäre Anpassung: Invasive Arten können sich über Generationen hinweg an neue Umweltbedingungen anpassen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Vespa velutina ihre Kältetoleranz oder ihre Fähigkeit, mit Trockenheit umzugehen, im Laufe der Zeit verbessert. Dieser Prozess ist jedoch meist langsam.
- Rolle des Klimawandels: Der fortschreitende Klimawandel mit tendenziell milderen Wintern und längeren Vegetationsperioden in vielen Teilen Europas könnte der Asiatischen Hornisse potenziell neue Gebiete erschließen, die bisher klimatisch ungeeignet waren. Dies ist ein dynamischer Faktor, der bei Prognosen berücksichtigt werden muss.
- Interaktion mit anderen Faktoren: Neben dem Klima spielen auch die Verfügbarkeit von Nistplätzen, das Nahrungsangebot (insbesondere die Dichte an Honigbienenvölkern und anderen sozialen Insekten), natürliche Feinde oder Parasiten (die in Europa noch weitgehend fehlen) und Konkurrenten eine Rolle. Diese Faktoren können die Auswirkungen des Klimas verstärken oder abschwächen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Klima ein mächtiger, aber nicht der einzige Regulator für die Ausbreitung der Asiatischen Hornisse ist. Während eine vollständige Besiedlung aller europäischen Lebensräume unwahrscheinlich erscheint, wird Vespa velutina in klimatisch geeigneten Regionen eine dauerhafte und potenziell problematische Präsenz bleiben. Die genauen Grenzen ihrer Verbreitung und die regionalen Abundanzen werden sich erst in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zeigen. Kontinuierliches Monitoring, Forschung zur Anpassungsfähigkeit und die Entwicklung von Managementstrategien, die auch klimatische Aspekte berücksichtigen, sind unerlässlich, um die Auswirkungen dieser invasiven Art auf die Imkerei und die heimische Biodiversität so gering wie möglich zu halten. Für Imker und Behörden bedeutet dies, wachsam zu bleiben, insbesondere in Regionen, die als klimatisch günstig oder grenzwertig eingestuft werden, und bei Bedarf schnell zu handeln.
Link zur Recherche inklusive der verwendeten Quellen: Klimatische Grenzen der Asiatischen Hornissen
Entdecke mehr von Projekt VELUTINA
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.
No responses yet