Die Asiatische Hornisse (Vespa velutina) ist eine Insektenart, deren Präsenz in Europa zunehmend Beachtung findet. Seit ihrer Einführung in Frankreich im Jahr 2004 hat sich diese soziale Wespenart in verschiedenen europäischen Regionen etabliert und ihre Ausbreitung wird genau beobachtet. Neben ihren ökologischen Auswirkungen, insbesondere durch die Prädation von Honigbienen, werden auch die potenziellen gesundheitlichen Aspekte für den Menschen wissenschaftlich untersucht. Aktuelle Forschungsarbeiten bieten detaillierte Einblicke in die Zusammensetzung und Wirkungsweise ihres Gifts. Dieser Artikel fasst die wesentlichen Erkenntnisse zusammen und beleuchtet die medizinische Relevanz sowie die Entwicklung in Diagnostik und Therapie.
Die Asiatische Hornisse: Eine sich ausbreitende Spezies
Die Asiatische Hornisse, Vespa velutina Lepeletier, 1836, stammt ursprünglich aus China, Südostasien und Indien. In den letzten Jahrzehnten hat sie sich erfolgreich außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets angesiedelt, unter anderem in Südkorea, weiten Teilen Europas und jüngst auch in den Vereinigten Staaten von Amerika. Die rasche Ausbreitung von V. velutina, insbesondere der Unterart Vespa velutina nigrithorax, hat vor allem aufgrund ihrer Rolle als Prädator von heimischen Insektenpopulationen, darunter Honigbienen (Apis mellifera), Aufmerksamkeit erregt. Dies kann zu sozioökonomischen Auswirkungen in der Imkerei und in Sektoren führen, die auf Bestäubung angewiesen sind. Darüber hinaus hat sich Vespa velutina in den invadierten Gebieten zu einem zunehmend relevanten Public-Health-Problem entwickelt.
Komponenten des Gifts von Vespa velutina
Wespengifte, einschließlich des Gifts von Vespa velutina, sind komplexe biochemische Gemische. Sie bestehen aus Proteinen (darunter Enzyme und Allergene), Peptiden (z.B. Mastoparane und Kinine) und niedermolekularen Verbindungen wie biogenen Aminen (Histamin, Serotonin, Acetylcholin), freien Aminosäuren und flüchtigen organischen Verbindungen. Es gibt Hinweise, dass das Gift von V. velutina im Vergleich zu anderen Hymenopterenarten einen proportional höheren Anteil an Toxinen aufweisen könnte. Die flüchtigen Komponenten im Gift dienen auch als Alarmpheromone, die Artgenossen alarmieren und ein koordiniertes Verteidigungsverhalten des Nestes auslösen können.
Die Hauptproteinkomponenten umfassen:
- Phospholipase A1 (Vesp v 1): Dieses Enzym katalysiert die Hydrolyse von Phospholipiden, was zur Freisetzung von Fettsäuren und Lysophospholipiden führt. Diese Produkte tragen zur Entzündungsreaktion und Gewebeschädigung am Stichort bei. Vesp v 1 ist ein Glykoprotein, eine Eigenschaft, die seine Immunogenität und Allergenität beeinflussen könnte.
- Antigen 5 (Vesp v 5): Dieses Protein gehört zur CAP-Superfamilie und ist ein bekanntes Allergen. Es gilt als das Hauptallergen im Gift von V. velutina und bindet häufig IgE-Antikörper bei sensibilisierten Personen.
- Hyaluronidasen (Vesp v 2A und Vesp v 2B): Diese Enzyme bauen Hyaluronsäure ab, einen Hauptbestandteil der extrazellulären Matrix, was die Gewebspermeabilität erhöht. Dadurch können andere Giftkomponenten leichter in das umliegende Gewebe diffundieren. Hyaluronidasen sind Glykoproteine und wichtige Allergene.
Quantitative Unterschiede im Gift: Königinnen versus Arbeiterinnen
Proteomische Analysen haben signifikante kastenspezifische Unterschiede in der Giftzusammensetzung von Vespa velutina nigrithorax und Vespa crabro aufgezeigt.
Die Ergebnisse der Studien von Alonso-Sampedro, Feás et al. an Vespa velutina nigrithorax sind in folgender Tabelle zusammengefasst:
Protein/Allergen | Relative Abundanz/Expression in Königinnen (SQ) | Relative Abundanz/Expression in Arbeiterinnen (SW) | Fold Change (SW vs. SQ) | p-Wert |
---|---|---|---|---|
Gesamtproteingehalt | 175±22 µg/Sack | 274±54 µg/Sack | ca. 1.57 | 0.02 |
Phospholipase A1 | Herunterreguliert | Höher als in SQ | >1 | <0.05 |
Antigen 5 | Herunterreguliert | Höher als in SQ | >1 | <0.05 |
Hyaluronidase A | Herunterreguliert | Höher als in SQ | >1 | <0.05 |
Es wurde festgestellt, dass der Gesamtproteingehalt pro Giftsack bei Arbeiterinnen signifikant höher war als bei zukünftigen Königinnen. Die potenziellen Hauptallergene Hyaluronidase A, Antigen 5 und Phospholipase A1 waren im Gift der zukünftigen Königinnen im Vergleich zu den Arbeiterinnen signifikant herunterreguliert. Diese Beobachtungen deuten auf einen konservierten evolutionären Mechanismus hin, der die unterschiedlichen biologischen Rollen der Kasten widerspiegelt: Arbeiterinnen sind primär für die Nestverteidigung verantwortlich, während Königinnen sich auf die Reproduktion konzentrieren.
Vergleich mit anderen Wespenarten: Kreuzreaktivität
Die Analyse der Giftzusammensetzung von Vespa velutina im Vergleich zu einheimischen europäischen Wespenarten, wie Vespula germanica/vulgaris (Deutsche Wespe/Gemeine Wespe) und Vespa crabro (Europäische Hornisse), ist für das Verständnis immunologischer Kreuzreaktivitäten relevant.
Allergen (V. velutina) | Homolog V. germanica/vulgaris | % Sequenzidentität zu V. velutina Homolog | Homolog V. crabro | % Sequenzidentität zu V. velutina Homolog | Glykosylierung (V. velutina) |
---|---|---|---|---|---|
Vesp v 1 (PLA1) | Ves g 1 / Ves v 1 | Hoch (genauer Wert nicht spez.) | Vesp c 1 | Sehr hoch (genauer Wert nicht spez.) | Ja |
Vesp v 5 (Antigen 5) | Ves g 5 / Ves v 5 | Hoch (77% Ähnlichkeit zu V. vulgaris Ag5) | Vesp c 5 | Sehr hoch (genauer Wert nicht spez.) | Unbekannt/Nicht berichtet |
Vesp v 2A (Hyaluronidase) | Ves v 2 (Homolog) | Sehr hoch (ca. 93%) | Vesp c 2 (Homolog) | Sehr hoch (genauer Wert nicht spez.) | Ja (generell für Wespen-Hyal.) |
Vesp v 2B (Hyaluronidase) | Ves v 2 (Homolog) | Sehr hoch (ca. 93%) | Vesp c 2 (Homolog) | Sehr hoch (genauer Wert nicht spez.) | Ja (generell für Wespen-Hyal.) |
Die Hauptallergene von V. velutina sind hochgradig homolog zu denen von Vespula-Arten und Vespa crabro. Diese hohe Ähnlichkeit führt häufig zu immunologischer Kreuzreaktivität. Das bedeutet, dass Personen, die gegen das Gift einer anderen Wespenart sensibilisiert wurden, auch auf das Gift von V. velutina allergisch reagieren können, selbst ohne direkten Stich dieser Art. Diese Kreuzreaktivität ist sowohl für die Allergiediagnostik als auch für die Therapie von Bedeutung. Da spezifische V. velutina-Venom-Immuntherapie (VIT)-Präparate noch nicht breit verfügbar sind, wird die VIT mit Vespula spp.-Extrakten als eine praktikable Option für Allergiker gegen V. velutina-Gift angesehen.
Homologe Giftkomponenten in Reptilien- und Spinnengiften
Die vergleichende Toxinologie zeigt, dass bestimmte Proteinfamilien in Tiergiften unabhängig voneinander für toxische Funktionen rekrutiert wurden, ein Phänomen, das als konvergente Evolution bekannt ist. Dies legt nahe, dass die Proteingerüste dieser Familien strukturelle oder funktionelle Eigenschaften besitzen, die sie besonders geeignet für die Entwicklung von Toxizität machen.
Proteinfamilie | Funktion in Wespengift (primär V. velutina) | Funktion in Reptiliengift (primär Schlangen) | Funktion in Spinnengift | Hauptsächlicher Effekt/Mechanismus |
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Phospholipasen (PLA) | PLA1: Allergen, Entzündungsförderung, Membranschädigung | PLA2: Neurotoxizität, Myotoxizität, Antikoagulation, Kardiotoxizität, Entzündung, Membranschädigung | PLD (Loxosceles): Dermonekrose. PLA2 in anderen Spinnen: diverse, weniger gut charakterisiert als bei Schlangen. | Enzymatische Hydrolyse von Phospholipiden, Freisetzung bioaktiver Lipidmediatoren, direkte Membranstörung. |
Hyaluronidasen | „Spreading factor“, Allergen | „Spreading factor“ | „Spreading factor“, Verstärkung anderer Toxineffekte (z.B. Dermonekrose, Neurotoxizität) | Enzymatischer Abbau der extrazellulären Matrix (Hyaluronsäure, Chondroitinsulfat), Erhöhung der Gewebspermeabilität, erleichterte Diffusion anderer Toxine. |
CAP-Superfamilie (Antigen 5 / CRISP) | Antigen 5: Hauptallergen, genaue toxische Rolle oft unklar | CRISP: Ionenkanalmodulation (K⁺, Ca²⁺), Beeinflussung glatter Muskulatur, anti-angiogenetisch, pro-inflammatorisch, myotoxisch | CRISP-ähnliche Proteine in einigen Spinnengiften, Funktionen weniger gut untersucht, potenziell Ionenkanalmodulation. | Molekulare Mimikry, Interaktion mit Zelloberflächenrezeptoren oder Ionenkanälen, Modulation zellulärer Signalwege. Funktion stark abhängig von spezifischen Aminosäuresequenzen in variablen Regionen des konservierten Gerüsts. |
Es ist festzuhalten, dass Phospholipasen und Hyaluronidasen sowohl in Wespengiften als auch in Reptilien- und Spinnengiften vorkommen. Die CAP-Superfamilie, zu der Antigen 5 der Insekten gehört, findet sich ebenfalls in den Giften von Reptilien als CRISP-Proteine. Obwohl diese Proteine homolog sind, haben sie oft spezifische Funktionen entwickelt, die an die jeweilige Tiergruppe angepasst sind. Während beispielsweise Antigen 5 in Wespengiften primär als Allergen wirkt, zeigen die homologen CRISP-Proteine in Schlangengiften eine breitere Palette an physiologischen Aktivitäten, wie die Modulation von Ionenkanälen.
Medizinische Relevanz von Vespa velutina-Stichen
Die Ausbreitung von Vespa velutina hat in den betroffenen Gebieten zu einer Zunahme von Stichereignissen geführt. Die klinischen Auswirkungen eines Stiches können variieren, abhängig von der Anzahl der Stiche, der individuellen Empfindlichkeit und der Menge des injizierten Gifts.
- Lokale Reaktionen: Dies sind die häufigsten Reaktionen und umfassen intensive Schmerzen, Schwellungen, Rötungen und Juckreiz an der Stichstelle. Diese können ausgeprägter und länger anhaltend sein als bei Stichen von Honigbienen oder heimischen Kurzkopfwespen.
- Systemische toxische Reaktionen: Diese treten insbesondere nach multiplen Stichen auf. Mögliche Symptome sind Rhabdomyolyse (Muskelzellauflösung), akutes Nierenversagen, Leberschäden, Herzrhythmusstörungen und neurotoxische Symptome. Berichte aus China und Südkorea dokumentieren Multiorganversagen und Todesfälle nach massiven V. velutina-Stichen.
- Systemische allergische Reaktionen (Anaphylaxie): Bei sensibilisierten Personen kann bereits ein einzelner Stich eine schwere, potenziell lebensbedrohliche anaphylaktische Reaktion auslösen. Symptome können generalisierte Urtikaria (Nesselsucht), Angioödeme (Schwellungen), Atemnot, Blutdruckabfall und Bewusstseinsstörungen umfassen. In einigen invadierten europäischen Regionen ist V. velutina zu einer häufigen Ursache für Hymenopteren-induzierte Anaphylaxien geworden.
Personen, die beruflich im Freien tätig sind (z.B. Imker, Landwirte), oder in ländlichen Gebieten leben, können ein erhöhtes Expositionsrisiko aufweisen. Zudem können bestimmte medizinische Faktoren, wie Mastozytose, das Risiko schwerer Reaktionen beeinflussen.
Fazit und Ausblick
Die Asiatische Hornisse stellt aufgrund ihrer Invasivität und der Eigenschaften ihres Gifts eine Herausforderung dar, die einen multidisziplinären Ansatz erfordert. Die Forschung trägt dazu bei, die genaue Zusammensetzung des Gifts besser zu verstehen und die Mechanismen von Stichreaktionen aufzuklären. Dies ist entscheidend für die Entwicklung präziserer Diagnoseverfahren und die Optimierung therapeutischer Maßnahmen, wie der Venom-Immuntherapie. Die kontinuierliche Untersuchung des V. velutina-Gifts und seiner Auswirkungen ist von großer Bedeutung, um die Bevölkerung in den betroffenen Gebieten adäquat zu schützen und zu versorgen.
Originalbericht und Audiozusammenfassung:
Audiozusammenfassung:
Recherchebericht: Das Gift der Asiatischen Hornisse (Vespa velutina): Zusammensetzung, Toxizität, Allergenität und vergleichende Toxinologie
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